Blindschleiche (Anguis fragilis)
Eckdaten
Größe: 40 - 57,5 cm
Gewicht: 50 -100 g
Nahrung: Schnecken, Regenwürmern, Insekten
Jahreszeit: Ganze Jahr in ganz Deutschland
Beobachtungstipp: Wälder, Felder, Gärten, Heidelandschaften
Fotografie Tipps
Objektiv: ab 100 mm
Schwierigkeitsgrad: leicht
Die westliche Blindschleiche, wissenschaftlich bekannt als Anguis fragilis, ist eine Echsenart und gehört zur Familie der Schleichen (Anguidae). Sie ist eines der am häufigsten vorkommenden Reptilien in Mitteleuropa. Aufgrund ihres beinlosen, langgestreckten Körpers wird sie oft mit Schlangen verwechselt, was sich sogar im wissenschaftlichen Namen widerspiegelt, den Carl von Linné ihr gegeben hat. Der Gattungsname "Anguis" ist lateinisch und bedeutet „Schlange“, während der Artname "fragilis" für „zerbrechlich“ steht. Trotz ihrer Ähnlichkeit zu Schlangen gibt es wichtige Unterscheidungsmerkmale. Blindschleichen haben bewegliche Augenlider und äußere Gehöröffnungen, die jedoch durch Schuppen bedeckt sind. Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal der Blindschleiche ist, dass sie in der Lage ist, ihren Schwanz abzuwerfen, um sich vor Raubtieren zu schützen.
Ein weitverbreiteter Irrtum ist, dass die Blindschleiche aufgrund ihres Namens blind sei. Tatsächlich wird der Name jedoch in der Fachliteratur oft auf das Althochdeutsche "plintslîcho" zurückgeführt, was allgemein als "blendende" oder "glänzende Schleiche" übersetzt wird. Dies bezieht sich auf das glänzende Aussehen der glatten Schuppenhaut und die typische Fortbewegung der Blindschleiche.
Im Jahr 2017 wurde die Blindschleiche von der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde zur Reptilie des Jahres ernannt.
Blindschleichen haben einen kreisrunden, langgestreckten Körper ohne Extremitäten und können bis zu 57,5 cm lang werden, obwohl die meisten erwachsenen Tiere eher zwischen 40 und 45 cm lang sind. Der Kopf ist relativ klein und hoch und geht unmittelbar in den Rumpf über, während der Schwanz in einer hornigen Spitze endet und oft etwas länger als der Rumpf ist. Viele Blindschleichen können ihren Schwanz leicht an mehreren Stellen abwerfen, was dazu führen kann, dass ein beträchtlicher Anteil der Populationen keinen vollständigen Schwanz mehr hat. Es bildet sich nur ein kurzer, halbkugeliger Stumpf und der fehlende Schwanzabschnitt wächst nicht nach. Deswegen wird die Kopf-Rumpf-Länge bevorzugt, um Blindschleichen zu vermessen. Die Kloake der Blindschleiche hat einen quergestellten Spalt.
Männliche und weibliche Blindschleichen können anhand mehrerer Merkmale unterschieden werden, aber nicht immer eindeutig. Männliche Blindschleichen haben als primäres Geschlechtsmerkmal zwei ausstülpbare Hemipenes und ihr Kopf ist etwas breiter mit größeren Pileus-Schilden. Im Gegensatz dazu sind unter den längsten und schwersten Blindschleichen vorwiegend weibliche Tiere zu finden. Bei trächtigen Weibchen ist der Rumpf im Vergleich zum Schwanz verdickt. In Bezug auf die Färbung behalten Weibchen oft eher die Merkmale der Jugendfärbung, wie den Aalstrich auf der Rückenmitte, die scharfe Farbgrenze an den Flanken und die dunkle Unterseite. Männliche Blindschleichen haben dagegen oft einen weniger ausgeprägten Farbkontrast zwischen Ober- und Unterseite und erscheinen dadurch gleichmäßiger gefärbt. Auch haben die meisten männlichen Blindschleichen keinen dorsalen Aalstrich mehr.
Die Verbreitung der (Westlichen) Blindschleiche hat sich gemäß der neuen Klassifizierung mehrerer Arten als kleiner erwiesen als zuvor angenommen. Das große Verbreitungsgebiet von Anguis colchica im Osten Europas, das sich vom Süden Finnlands über das Baltikum und Westrussland bis zum Schwarzen Meer und weiter über den Kaukasus zur Südküste des Kaspischen Meeres erstreckte, wird nun als Teil einer anderen Art betrachtet und ist nicht mehr Teil des Verbreitungsgebiets der Westlichen Blindschleiche. Auch weite Teile Italiens und Griechenlands gehören nicht mehr zu diesem Verbreitungsgebiet. Das verbleibende Verbreitungsgebiet von Anguis fragilis erstreckt sich vom Norden der Iberischen Halbinsel über Frankreich und Deutschland bis ins östliche Mitteleuropa und auf den Balkan. Im Norden sind Dänemark, Großbritannien, der äußerste Süden von Norwegens sowie Süd- und Teile von Mittelschwedens besiedelt. Die Kontakt- und Übergangszone zwischen den Verbreitungsgebieten der Westlichen und östlichen Blindschleiche verläuft grob von Kaliningrad aus südwärts. In einigen Ländern wie Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Rumänien gibt es Vorkommen beider Arten. Blindschleichen im deutschsprachigen Raum gehören ausschließlich zur westlichen Art, während in Tessin (Schweiz) die italienische Blindschleiche vorkommt.
Die Blindschleiche ist eine eurytope Art, was bedeutet, dass sie eine Vielzahl von Biomen ohne besondere Spezialisierung nutzen kann. Sie bevorzugt Lebensräume wie dichte Laubwälder und deren Ränder, Hecken, Hochmoore, Wiesen, Brachen, Parks, und naturnahe Gärten. Sie bevorzugt eine deckungsreiche krautige Vegetation und eine gewisse Bodenfeuchte. Im Gegensatz zu vielen anderen Reptilien ist die Blindschleiche nicht so wärmebedürftig. Sie teilt ihre Lebensräume oft mit anderen Reptilien, wie der Waldeidechse, der Kreuzotter, der Schlingnatter und der Zauneidechse. Die Blindschleiche nutzt gerne trockene Sonnenplätze, wie Totholz, dunkler Humusboden, alte Grasbulten und Versteckplätze wie Erdlöcher, Hohlräume unter Baumwurzeln, liegendes Holz, Steine, Felsspalten, Moospolster, Laub- und Komposthaufen sowie Brennholzstapel. An besonders günstigen Versteckplätzen finden sich oft mehrere Tiere gleichzeitig ein.
Den Winter verbringen sie in einer Kältestarre bzw. Ruhe in frostgeschützten Verstecken. Sie graben oft selbst unterirdische Gänge von 15 bis 100 cm Länge und verschließen diese mit Moos oder Erde. Oft überwintern sie in Gruppen von 5 bis 30 Tieren, manchmal sogar in Gruppen von über 100 Individuen. Ältere Tiere scheinen sich dabei in größerer Tiefe aufzuhalten, während jüngere Tiere näher am Eingang bleiben. Es wurde sogar beobachtet, dass Blindschleichen gemeinsam mit ihren Fressfeinden wie Schlangen überwintern. In Mitteleuropa ziehen sich die meisten Blindschleichen im Oktober in ihre Verstecke zurück und kommen normalerweise im März oder Anfang April wieder heraus, wenn es die Außenbedingungen zulassen.
Blindschleichen sind vor allem tagaktiv und jagen hauptsächlich Nacktschnecken, Regenwürmer und unbehaarte Raupen. Ihr nach hinten gekrümmtes Gebiss hilft ihnen, diese Beutetiere festzuhalten. Sie fressen auch Asseln, Saftkugler, Heuschrecken, Käfer und deren Larven, Blattläuse, Zikaden, Ameisen und kleinere Spinnen. Unter den Schnecken werden vor allem Ackerschnecken, aber auch kleinere Exemplare großer Wegschnecken gefressen. Blindschleichen sind nicht blind, aber haben eine eingeschränkte Sehleistung und sind farbenblind. Sie orientieren sich vor allem mit ihrem Geruchs- und Tastsinn, der bei der Jagd eine wichtige Rolle spielt. Die Beutetiere werden gepackt und als Ganzes verschluckt. Es kann bis zu einer halben Stunde dauern, einen größeren Regenwurm zu verschlucken. Blindschleichen sind auch außerhalb ihrer Verstecke anzutreffen, insbesondere bei feucht-milder Witterung, etwa vor Gewittern oder bei warmem Nieselregen, sowie möglicherweise auch in sehr milden Sommernächten.